Wie ich wurde, was ich bin – eine Geschichtenerzählerin

 

Es begann mit einem Häschen

Lass uns zu einem Ursprungserlebnis reisen, mit dem meine Freude für's Schreiben begann. Einsteigen, anschnallen und in die Mitte der 1980er Jahre gebeamt. Es ist meine Grundschulzeit. Ich war wohl in der 2. oder 3. Klasse und habe an einem Schreibwettbewerb in meiner Schule teilgenommen. Mein Werk: Ein Gedicht. Über ein Häschen, das in seinem Grübchen ein Rübchen fraß. Und, ich habe sogar einen Preis gewonnen: ein Kinderbuch.

Siehst du mich, wie ich als Grundschülerin mit Zöpfen stolz auf mich und mein Werk bin und ein Kinderbuch samt Urkunde entgegennehme? Das war der Anfang.

 

 

Briefe Briefe Briefe

Reisen wir in meine Teenagerzeit – die Jahre nach der Wende. Die Grenzen waren geöffnet und nun stand mir nicht nur die sozialistische, sondern auch die westliche Welt offen. Ich war neugierig und wollte neue Menschen kennenlernen. Am liebsten auf der ganzen Welt. Und wie geht das, wenn man noch zu jung zum Reisen ist? Man schreibt Briefe. Ich meldete mich bei einer Organisation an, die Brieffreunde vermittelt, bezahlte einen Obolus und hielt bald darauf eine Liste mit mehr als 20 Adressen in der Hand – von Menschen auf der ganzen Welt, die wie ich Brieffreunde suchten. War das aufregend! Wer sich wohl hinter den Adressen verbarg? Ob sie zurückschreiben würden? Was sollte ich im ersten Brief von mir erzählen? Ich schrieb sie alle an – auf Englisch und Deutsch. Aus manchen ergaben sich langjährige Brieffreundschaften und einer Brieffreundin aus Belize schreibe ich noch heute – mehr als 30 Jahre später. In meiner besten Zeit hatte ich gleichzeitig 13 Brieffreunde und der Blick in den Briefkasten war mir die liebste Tat nach der Schule. Damals standen die Briefkästen übrigens noch am Ende der Straße und hingen nicht an jedem Haus. Ich habe gern Briefe geschrieben, habe versucht, meine Erlebnisse in kleine Geschichten zu verpacken und unterhaltsam zu schreiben. Und manchmal hörte ich: "Antje, deine Geschichten sind so lustig – du solltest sie veröffentlichen." 

Siehst du mich, wie ich als schüchterner Teenager stolz in mich hinein lächle und gleichzeitig den Kopf vor Verlegenheit schüttele?

 

 

Auf See zur CD

Auf geht's ins Jahr 2003. Ich begann bei AIDA Cruises zu arbeiten und habe als Scout auf dem Kreuzfahrtschiff Ausflüge verkauft und begleitet. Eine aufregende Zeit im Mittelmeer! In ruhigen Momenten auf Kabine begann ich, Kindergeschichten zu schreiben. Hauptfiguren: meine Plüschtiere, die mit an Bord waren. Es entstanden die ersten drei Geschichten für Kinder mit Wuschel, Wuffi, Chucky und Hardy. Ich erzählte Freunden an Bord von den Geschichten und las sie mit klopfendem Herzen vor. Rolf, der heute Moderator bei HITRADIO RT1 und Stadionsprecher beim FC Augsburg ist, sprach die Geschichten mit seiner samtigen Stimme ein und schenkte sie mir auf CD gebrannt.

Siehst du mich, wie ich in meinen Zwanzigern ehrfürchtig, stolz und glücklich vorm CD-Player sitze und mir meine selbst geschriebenen Geschichten anhöre? Den Weg an die Öffentlichkeit haben sie jedoch nicht gefunden.

 

Die Schule des Schreibens

Ich wollte das Schreiben von der Pike auf lernen, denn so richtig zufrieden war ich mit meinen Geschichten nicht. Darum steig ein und lass uns ins Jahr 2006 düsen. Zu der Zeit sah ich immer wieder Werbung der Schule des Schreibens. Ach, wie sehr ich das wollte. Doch der Fernlehrgang würde ziemlich an meinem Ersparten nagen. Ich überlegte hin und her – und entschied mich schließlich dafür. Ich buchte den Grundkurs sowie den Fernlehrgang zur Kinderliteratur. Ich wollte lernen, wie man richtige Geschichten für Kinder schreibt. Monat für Monat erhielt ich Material, das ich durchging und bearbeitete. Ich schrieb und schrieb, reichte ein, bekam Feedback, verbesserte. Es war eine ungemein bereichernde und kreative Zeit. Am Ende des Grundkurses lud mich mein Kursleiter ein, eine meiner Geschichten in seiner Anthologie zu veröffentlichen. Was für ein Lob! Doch ich lehnte ab, denn ich erhoffte mir noch viel mehr für meine Kurzgeschichte. Am Ende hat sie es nicht über den Freundeskreis hinaus geschafft. Chance vergeben, aber nicht schlimm. Am Ende des Kurses zur Kinderliteratur sagte mir meine Kursleiterin: "Sie werden bestimmt einmal Kindergeschichten veröffentlichen. Daran habe ich keine Zweifel."

Siehst du mich, wie mich dieser Satz noch Jahre später in Schwingung versetzt? Wie ein gutes Omen, das darauf wartet, erfüllt zu werden.

 

 

Sieger mit "Drei Briefe"

Angespornt vom Schreibstudium nahm ich an verschiedenen Literaturwettbewerben teil. Komm und betritt mit mir das Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin, setz dich neben mich in die erste Reihe und lausche den Siegertexten des 6. Schreibwettbewerbs der Landeshauptstadt Schwerin. 2007 war das Thema "grenzenlos" und ich habe meine Kurzgeschichte "Drei Briefe" eingereicht. Eine Geschichte über grenzenlose Möglichkeiten, in denen man seine eigenen Grenzen verliert. Und vielleicht auch sich selbst. 

Siehst du mich, wie ich im langen Kleid auf der Tribüne sitze und dir die Geschichte vorlese? Oder auch heute, 15 Jahre später, mit kurzem Kleid und genauso vielen Locken.

  

 

Schreiben für Musik und Wissenschaft

Reisen wir nur ein zwei Jahre weiter. Ich arbeite in einer Agentur für Zeitgeistentwicklung in Rostock – und ich schreibe. Ich schreibe Artikel für die Semesterzeitung der Hochschule für Musik und Theater über Klavierduo und Volksmusik, über Theater und Schauspiel, über Musiker*innen, Schauspieler*innen und Komponist*innen. Jedes Semester neue, spannende Themen. Doch Musik und Theater waren nicht alles. Die Agentur brachte die WISSENSMEER heraus, ein Journal für die Wissenschaftsgemeinschaft Region Rostock und ich hielt die Fäden in der Hand. schrieb Artikel und das Editorial. 

Siehst du mich, wie ich mich in meinen Dreißigern durch Fachbegriffe der Nutztierforschung kämpfe und versuche, die wissenschaftlichen Abhandlungen in gemeinverständliche Sprache zu übersetzen?

 

 

Vier Clubbies, zwei Heftchen und ein Buch

Lass uns einen Abstecher ins Jahr 2009 machen. Ich war AIDA Cruises, deren Hauptsitz ja in Rostock – meinem derzeitigen Wohnsitz – ist, noch immer sehr verbunden. Und ich fand: Die AIDA Clubbies müssten noch viel besser in Szene gesetzt werden. Was könnten Alwine, Itzi, Dodo und Achwasachwas nicht alles für Abenteuer erleben in den vielen Häfen, die die AIDA Kreuzfahrtschiffe anlaufen? Was für Geschichten könnte man schreiben? Und könnte man mit den Geschichten nicht auch Wissen über die Häfen und Länder vermitteln? 

Aha! Du siehst, hier taucht erstmals die Kombination Kinder und Wissensvermittlung auf.

Was habe ich also gemacht? Ich habe zwei Kindergeschichten mit den AIDA Clubbies geschrieben. Eine zum Hafen Mykonos und eine, die sich für einen Seetag eignen würde. Geschrieben, illustriert, mit Rätseln versehen, drucken lassen, ein Anschreiben verfasst, alles zu AIDA geschickt und dann gespannt gewartet. 

Bis endlich eine Nachricht kam: Die Geschichten gefielen ihnen und sie könnten sich eine Zusammenarbeit vorstellen. Ich tanzte vor Freude jubelnd im Kreis. Natürlich gab es Anpassungen: Keine Häfen. Nur allgemeine Geschichten, damit sie auf allen Schiffen, die ja unterschiedliche Zielgebiete haben, vorgelesen werden können. Dadurch entfiel leider auch die Wissensvermittlung. 

Für AIDA schrieb ich drei Geschichten. Zwei erschienen als kleine Heftchen, die an Bord an die Kinder verteilt wurden: "Dodo hat Geburtstag" sowie "Der Seifenkistenkuchen". Zum Jubiläum erschien ein gebundenes Buch mit einer Geschichte darüber, wie die Clubbies an Bord gelangt sind, wo sie schon überall waren und welche Aufgaben sie an Bord übernehmen. 

Siehst du mich, wie ich mich als junge Mama aus tiefster Seele freue, als ich an Bord ein Kind sehe, das ein Heftchen mit meiner Geschichte in den Händen hält?

 

Das Pappeinhorn

2009 erblickten nicht nur die AIDA Kindergeschichten das Licht der Welt, sondern auch mein eigenes Kind. Lass uns aufs Laufrad steigen und meine Tochter ein wenig begleiten. Ich glaube, im Kindergartenalter ging es los, dass sie mich spontan bat: "Mami, erzähl mir eine Geschichte." Puh, also, ähm. Und dann erfand ich das Pappeinhorn – es war grad die Rosa-Glitzer-Einhorn-Phase. Spontan sollte ich ihr in allen möglichen Situationen vom Pappeinhorn erzählen. Das war eine ganz schöne Herausforderung, doch meine Ideen haben mich nie im Stich gelassen. Manchmal gab sie mir ein Stichwort vor, manchmal erfand ich eine Geschichte, die ihrer eigenen Lebenssituation grad entsprach. Viele kleine Pappeinhorn-Geschichten sind entstanden – doch nie auf dem Papier. Dabei habe ich immer wieder an einige erfolgreiche Kinderbuchautoren gedacht, die genau so angefangen haben.

Siehst du mich, wie ich mit Vierzig am Bett meiner Tochter sitze und ihr eine Geschichte vom Pappeinhorn erzähle?

 

 

Endlich: schlaubatz will's wissen

Kindergeschichten haben mich nicht losgelassen. Und auch, wenn ich immer wieder zu hören bekomme: "Antje, du musst unbedingt Geschichten schreiben", habe ich diesen Traum zunächst nicht weiter verfolgt. Lindgren, Funke & Co. erschienen mir einfach unerreichbar. Und ich fand mich – du errätst es sicherlich – nicht gut genug. An dieser Einstellung habe ich gearbeitet und arbeite noch immer dran. Doch dann geschah etwas: Lass uns auf einem Schmetterling ins Jahr 2020 fliegen. Ins Corona-Jahr, das so viele bei mir ins Rollen gebracht hat. Meine Marke schlaubatz war bereits geboren und auch eine Figur dazu hatte ich im Kopf. Ich stellte mir vor, wie ich Naturgeschichten für Kinder schreiben würde, in denen mein neugieriger schlaubatz kleine Abenteuer erlebt und mit Pflanz' und Tier ins Plaudern kommt. Ich wollte über meine Geschichten Wissen an Kinder vermitteln: auf unterhaltsame Weise, in kleinen Happen, sodass sie gar nicht mitbekommen, dass sie etwas lernen, und ich wollte ihnen auf Augenhöhe begegnen und nicht als "kluger Erwachsener" von oben herab dozieren. Und so sind die ersten Geschichten entstanden. schlaubatz findet sich in unterschiedlichsten Gegenden und Situationen wieder, stellt Fragen – manchmal auch kindlich-naive, wie ein Erwachsener vielleicht sagen würde –, er findet Spannendes heraus, steht Pflanzen und Tieren offen und hilfsbereit gegenüber, ist aber auch verschmitzt und humorvoll. Wie ein ganz normales Kind halt. Meine erste Geschichte handelte vom Gänseblümchen Valerie. In meinen Jahreszeitenfortbildungen erhalten die Teilnehmenden jeweils eine Geschichte mit schlaubatz, mit der sie in ausgewählte Naturthemen einführen können. Es gibt Geschichten zur Kiefer und zum Eichhörnchen, zur Feuerwanze und zur Hummel. Eine Geschichte über die Amsel findest du in meiner Materialsammlung und wie schlaubatz zu mir kam, erzähle ich dir hier. 

Siehst du mich, wie ich heute mit Herzblut in meine Geschichten eintauche und Naturwissen mit Abenteuer, Spaß und Fantasie verbinde?

 

Auf Schwalbenschwingen in die Zukunft

Ich liebe Schwalben, die so fröhlich vor sich hin schwatzen. Stell dir vor, wir sitzen in ein, zwei, drei Jahren in einem Bauernhofcafé bei heißem Kaffee und süßem Kuchen. Über uns ziehen Schwalben ihre Runden und erzählen sich von dem Buch, das sie im Schoß eines Kindes gesehen haben:

"Stell dir nur vor, das Buch handelt von dem Abenteuer, das wir mit schlaubatz erlebt haben."

"Ob es wohl auch verrät, warum wir Schwalben so munter schwatzen?"

"Und wie man uns von den Mauerseglern unterscheidet?"

Ja, das wäre mein Traum: Einmal verstehen, was die Schwalben so schwatzen. Und natürlich ein Buch oder Entdeckerhefte mit meinen schlaubatz Naturgeschichten zu veröffentlichen und in Kinderhänden zu sehen. Damit sie die Natur vor ihrer Haustür spielerisch entdecken. 

Siehst du mich, wie ich träume und der Traum Realität wird?

 


Danke an Judith von Sympatexter, die das spannende Thema "Wie ich wurde, was ich bin" für die #BoomBoomBlog2022 vorgegeben hat. Es gibt viele Wege nach Rom und viele Geschichten, die erzählen, wie ich wurde, was ich bin. Heute habe ich dir erzählt, wie ich zur Geschichtenerzählerin wurde.

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